Die Auswirkungen der Schnellebigkeit
Schnelllebigkeit betrifft auch Pferde! Ich habe mir Gedanken dazu gemacht, welche Auswirkungen die Schnelllebigeit uns Hast des Menschen auf unsere Pferde hat. Eigentlich wollte ich etwas über den Wert von Langsamkeit schreiben, naja… Der Fluss des Schreibens hat mich an einen anderen Ort geführt, der für Verständnis und andere Perspektiven sorgt.
Inhalt:
- Wer kennt es nicht?
- Vom Vergessen des Jetzt
- Eine kleine Zeitreise
- Was macht das mit uns?
- Und die Pferde?
- Ich schließe den Kreis

Wer kennt es nicht?
Trainer, die versprechen dein Pferd in kürzester Zeit auf ein neues Level zu bringen. Oder Therapiemethoden, die beworben werden mit einer rundum wirkungsvollen und alle Probleme beseitigenden Erstbehandlung.
Oder das generelle Verständnis darüber, dass man Pferde mit 2,5 Jahren anreiten muss, dass sie mit 6 Monaten abgesetzt werden müssen oder dass das Pferd möglichst schnell Leistung bringen soll oder sofort auf Hilfen reagieren muss…
Was all das gemeinsam hat ist:
– dass man keine Zeit hat
– sich auch keine Zeit nimmt
– man den Leistungsdruck und der Schnelllebigkeit der heutigen Gesellschaft erlegen ist
– dass man irgendwie das Gefühl hat, es muss immer alles sofort passieren und möglichst schnell gehen
– dass wir Menschen uns mittlerweile dabei unwohl fühlen, wenn etwas mal mehr Zeit und Zuwendung braucht
Vom Vergessen des Jetzt
Ich finde es so schade, dass die Menschen nur noch in Zukunft und Vergangenheit leben und dabei das Jetzt vollkommen vergessen. Die Zeit scheint sich immer schneller zu drehen, immer weniger zu werden und irgendwie kommt man auch nie zur Ruhe…
Aber was meine ich eigentlich damit, die Menschen leben nicht mehr im Jetzt?
Wann war deine Aufmerksamkeit zuletzt wirklich bei dem, was du jetzt gerade tust. Bist du gerade wirklich bei den Zeilen hier, die du liest oder hast du in deinem Kopf noch dies und das und jenes, was du alles noch zu tun hast? Das sind die Gedanken an die Zukunft, anstatt das Potenzial dessen was der Moment gerade bringt auszukosten, bleibt deine Atmung flach, deine Gedanken schnell und hastig, weil du hast ja keine Zeit… Keine Zeit dich in den Momenten wirklich zu erleben. Und in die andere Richtung? Wie sehr ärgerst du dich noch über ein kleines Missgeschick, dass vielleicht ein paar Tage zurückliegt? Wie sehr denkst du an deine Kindheitsträume, die mit der Zeit immer weiter in die Ferne der Umsetzung rückten? Wie sehr macht es dich fertig, dass du dies und das noch nicht geschafft hast, dass du keine Zeit für dich gefunden hast, dass du es besser hättest wissen müssen? All das hat rein gar nichts mit dem Moment zu tun. All das lenkt deine Aufmerksamkeit, deine Energie in die unveränderbare Vergangenheit. Was aber veränderbar ist, ist dein Denken und Fühle über sie. Aber darum soll es heute nicht gehen. Heute geht es um den Moment und um die Entdeckung der Langsamkeit.
Eine kleine Zeitreise
Was soll an langsam gut sein?
Wir machen jetzt eine kleine Reise in die Vergangenheit, damit du das besser verstehen kannst. Es geht um die Natur des Menschen.
Denk mal an die Zeit zurück, bevor es das Smartphone gab. Wie hat man sie da kontaktiert? Mit wie vielen Menschen hattes du am Tag Kontakt? Und wenn du dafür zu jung bist, frag jemanden, der diese zeit noch erlebt hat.
Jetzt geh noch weiter zurück, in die Zeit, wo es noch keine Autos gab. Wie lange hat es wohl gedauert, um von A nach B zu kommen? Oder etwas zu transportieren? Wie lange war wohl ein Brief unterwegs, bis er den Empfänger erreicht hat? Wie haben wir uns in der zeit überhaupt fortbewegt?
Und noch weiter davor, bevor es Eisenbahnen, Maschinen oder Kutschen gab. Als die Geschwindigkeit des Lebens noch zu Fuß erlebt wurde. Damals, als man noch mit den Rhythmen der Natur lebte und vor allem mit der Natur seines eigenen Körpers. Damals, als es noch wichtig war, auf Qualität und Langlebigkeit zu achten, denn etwas herzustellen war aufwendig. Dafür hielt es aber auch mehrere Generationen.
Was ich damit sagen will ist, dass sich unser Verständnis von Langsam und Schnell mit der Geschichte sehr verschoben hat. Was heute als Langsam gilt, war vor der Zeit von Maschinen und Technik bereits wie Überschallgeschwindigkeit.
Was macht das mit uns?
– mit unserem Körper, dessen Physiologie sich seither nicht verändert hat
– mit unserem Nervensystem, das immer noch so funktioniert, wie es das zu Beginn der Menschheitsgeschichte tat
– mit unserer Psyche, dessen Anatomie auch noch die selbe, wie vor tausenden von Jahren ist
– mit unserem Fühlen, dass immer noch so erlebt werden möchte wie seit Anbeginn
Und die Pferde?
Pferde begleiten die Menschheit schon sehr lange. Sie waren in der Vergangenheit mit die wichtigsten Nutztiere des Menschen. Unsere gemeinsame Geschichte ist eng verknüpft. Die Pferde, die wir heute haben, sind Ergebnis jahrtausende langer Selektion und Züchtung des Menschen. Sie waren Begleiter und lebten sehr eng mit den Menschen zusammen. Die Entwicklung des Menschen betrifft in hohem Maße auch die Pferde. Unsere Schnelllebigkeit heute hat auch die Pferde bereits berührt und dringt in sie ein, ohne, dass sie sich wirklich und ernsthaft dagegen wehren könnten. Denn auch das hat die Züchtung geschafft – als Pferde noch unser Haupttransportmittel waren, war es wichtig, dass sie mental dafür auch geeignet waren. Dass sie willig waren, dem Menschen zu dienen, den Menschen auszuhalten, ihm gehorsam zu sein. Pferde wollen auch heutzutage für uns da sein, lassen sich formen und sind Meister darin zu kompensieren. Sie kompensieren auch, die Hast der Menschheit, den Globalismus, die Wirtschaft, die Technik, den Leistungsdruck, die Selbstoptimierung…
Mit unserem Handeln und damit, wie wir mit uns selbst umgehen, beeinflussen wir auch die Pferde. Denn entsprechend gehen wir mit ihnen um, denken und fühlen über sie.
Wir erwarten mittlerweile von den Pferden, als auch von uns Selbst, wieder unserer Natur in einer Schnelligkeit zu leben, die keinem von uns gut tut. Sie entfernt uns, von unserer Natur und damit vom eigentlichen Menschsein. Und an unserer Seite sind die Pferde, die dasselbe erleben und uns dabei zusehen… Für das Pferd ist das schon rein biologisch einfach unlogisch. Auch für die Biologie des Menschen ist die Schnelllebigkeit absolut unlogisch. Aber was haben wir als Menschheit erschaffen? Ein Systemkonstrukt, dass eigentlich nur dann existieren kann, wenn wir es aktiv aufrechterhalten. Warum wir das überhaupt tun ist ein anderes Thema.
Ich schließe den Kreis
Zurück zu den Themen am Anfang:
Ein Trainer, der ein Pferd in kürzester Zeit auf ein neues Level bringen will:
Ich muss sagen, ja das geht. Aber wie pferde- und menschenfreundlich ist das Ganze? Es gibt viele Pferde die maßlos überfordert sind mit dem was von ihnen verlangt wird und das sowohl mental, körperlich und seelisch. Es gibt auch Pferde, die mental super schnell sind, keine Frage. Aber kommt ihr Körper hinterher?
Es ist heute so, dass wir Pferde kaum noch wirklich Praxisorientiert reiten, also mit einer wirklich sinnvollen Aufgabe für das Pferd. Im Dressurviereck die Beine möglichst hoch zu werfen oder im Reining endlose Kreise im Galopp zu laufen und den Sand möglichst weit aufzuwirbeln beim Stopp ist keine sinnvolle Aufgabe. All das geschieht ausschließlich für den Menschen und sein Ego. Auch möglichst viele Kilometer zu machen in möglichst wenig Zeit, wie bei einem Distanzritt ist keine sinnvolle Aufgabe, sondern Leistungsdruck. Selbst den Menschen ihre Führungsqualitäten vorzuführen ist nicht ihre Aufgabe, aber weil Pferde so sind, wie sie sind werden sie dafür benutzt.
Und ich möchte nochmal klarstellen, dass Pferde uns das auch schenken können, freiwillig. Nur ist der Grad dazwischen sehr schmal und die Frage, ob wir das wirklich erkennen können und auch wollen eine große. Aber darum soll es jetzt nicht gehen, sondern darum, dass Pferde oft in dem was sie sehen und in dem was man mit ihnen tut oder tun will keinen Sinn finden können – aus Sicht des Pferdes. Sinn im sinne von, dass sie dabei wirklich Lebensfreude und ihr eigenes Wesen ausdrücken dürfen.
Es geht darum, dass heutige Pferde bereits in der Aufzucht keine oder wenig Möglichkeiten haben einen vitalen, kräftigen und resilienten Körper aufzubauen. Unsere Flächen sind begrenzt und bieten viel zu wenig Erfahrungsmöglichkeiten. Sie haben nichts, wo sie wirklich klettern könnten oder durch einen Fluss schwimmen müssten, verschiedenste Böden unter den Füßen haben und täglich wirklich mehr als 30km zurücklegen können mit vielfältigstem Gelände, frischer Luft und Natur um sie herum.
Es geht darum, dass Pferde mit 6 Monaten von der Mutter getrennt werden und nicht mehr die Möglichkeit haben, in wirklich stabil gewachsenen Herden aufzuwachsen und über die Fohlenzeit von ihrer Mutter vollständig gelehrt werden, um mentale Sicherheit und Stärke zu erlernen.
Es geht darum, dass die Pferde heut nicht mehr die Voraussetzungen mitbringen, weder körperlich noch mental, um so schnell, wie es der Mensch sich wünscht, dem Menschen gesund und langfristig zur Verfügung zu stehen. Noch dazu kommt, dass es heute noch viel schneller gehen muss, als früher; dass mittlerweile Menschen Pferde reiten wollen, die viel zu wenig Zeit haben, um sich wirklich mit Pferden und ihrem gesamten Wesen (körperlich, mental, emotional…) auseinanderzusetzen und damit umzugehen. Sie haben ja nicht mal Zeit für sich selbst, nur noch Zeit für Leistung und Geld.
Natürlich stimmt das nicht für alle. Doch wir alle dürfen und fragen, in welchem Maße da auch für uns etwas Wahres dran ist. Wir dürfen endlich hinsehen und bemerken wo wir uns eigentlich befinden!
Therapiemethoden, die versprechen, dass man mit einer Anwendung fast alle Probleme löst,:
vergessen, dass ein Pferd und auch ein Mensch nicht in dem Umfeld heilen kann, in dem es krank geworden ist. Also wenn wir nicht wirklich etwas für das Pferd verändern, in seiner Haltungsform, in seiner Fütterung, in seinem Training, im Umgang und auch bei uns Selbst, wie wir mit dem Pferd umgehen, was wir von ihm wollen und erwarten, dann wird es zurückkommen. Vielleicht nicht immer auf dieselbe Weise.
Neben unserem Kleinklima, haben wir das Großklima. Es betrifft die Lebensräume an sich. Welche Vorgaben hat das Land in dem ich mit meinem Pferd lebe, an Pferdehaltung und welche Möglichkeiten habe ich überhaupt. Wie wird Futter produziert? Wie natürlich ist das alles wirklich? Welche Meinung habe ich über das richtige Training, den richtigen Umgang, die ich, durch den soziokulturellen Kontext, in dem man aufgewachsen ist und in dem man sich befindet, entwickelt habe. Und wie setze ich das am Pferd um?
Und bedenken diese Therapien auch, dass der Körper, die Materie oftmals etwas mehr Zeit braucht, um sich wieder neu auszurichten, vor allem dann, wenn sie vieles über die Zeit angesammelt hat. Bedenken sie, dass, wenn sich das Pferd nicht frei ausdrücken kann, es eine Wirkung auf die Gesundheit hat. Und wo darf heute ein Pferd noch wirklich Pferd sein? Mit unseren begrenzten Flächen, mit der Herdenkonstellation, mit der Selektion naturbelassener Wildpflanzen?
Und bedenken Sie auch, dass die Biologie und Physiologie des Körpers in einer anderen Zeitrechnung lebt, als das menschliche Denken & Erwarten?
Und zu den Hilfen, die sofort beantwortet werden sollen:
Können wir eigentlich verstehen, dass es für Pferde heutzutage schwieriger ist einen Menschen richtig tragen zu lernen, als früher? Weil die Züchtung immer flexiblere Pferde hervorbringt, die eigentlich mehr Stabilität brauchen – übrigens auch in der Psyche. Und weil die Bedingungen beim Aufwachsen zu eintönig für den Körper sind. Die Pferde heute brauchen Zeit, um sich körperlich so gut ausbalancieren zu können, dass sie die Hilfen auch beantworten können. Sie brauche vor allem auch ein richtiges Verständnis, dass sie selbst für ihren Körper entwickeln dürfen. Und das auch der Mensch für den Körper des Pferdes und für seinen eigenen Entwickelt. Dazu kommt, dass der Mensch vielfältige Probleme durch die Schnelllebigkeit hat, die sich auch in seinem Körper, z.B. in Form von Verspannung und Bewegungsmangel ausdrückt. Somit kann er selbst körperlich schlechter mit den Bewegungen des Pferdes mitgehen. Oftmals spüren wir Menschen diese Verspannungen und Unbeweglichkeiten gar nicht mehr, weil sie so normal geworden sind. Pferde spüren die und im übrigen haben sie selbst auch mit diesem Thema zu kämpfen.
Also, denken wir in Zukunft besser darüber nach, was Langsamkeit eigentlich für einen Wert hat. Und was Schnelligkeit an der falschen Stelle alles zerstören kann.
Was ist uns wirklich wichtig? Und wollen wir das Leben lleben und erleben oder fast nichts davon mitbekommen und in Hast zum Sterbebett rennen?

Wenn wir uns erlauben, dem Moment wirklich zu erleben, dann können wir aus einer Sekunde Leben einen ganzen Roman schreiben.
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